Einmal die Woche treffen wir uns mit den Mamas aus dem Kindergarten, damit unsere Kinder auch zu Hause gemeinsam spielen können.
Wir brachten noch Gummibären (vegan) mit. Irgendwann gab es auf dem Tisch eine Packung Gummibären ohne Gelatine und eine Packung mit. Wir unterhielten uns mit meinem Sohn (4) mehrmals über den Verzicht auf die Gelatine. Als er das Wort „Gelatine“ zum ersten Mal hörte, fragte er mich mehrmals was Gelatine ist, wer keine Gelatine isst, wer Muslime sind. Nach mehreren Gesprächen weiß er jetzt, dass wir Muslime sind und keine Gelatine essen.
Als heute auf dem Tisch keine Gummibären ohne Gelatine mehr gab, wollte er von der anderen Packung eins nehmen. Ich sagte zu ihm „Das ist mit Gelatine“ Dann ließ er das zurück.
Wir kamen nach Hause. Plötzlich fragte er mich: Mama warum darf ich keine Gelatine essen?
Ich war so unvorbereitet auf die Frage, dass ich selber nicht wusste, wie ich auf diese Frage reagieren sollte. Nach unseren religiösen Vorschriften ist Gelatine für Muslime verboten und schädlich für unseren Körper. Von einem Verbot wollte ich nicht reden. Er ist ja noch nicht in der Lage, die verbotene Sachen zu verstehen. Ich wollte auch nicht ungesund sagen, weil er Freunde hat, die Gelatine essen dürfen.
So ging unser Gespräch weiter:
“Du weißt ja mein Liebes, wir sind Muslime. Wir essen und trinken nicht alles. Wir essen nur was „halal“ ist. Wenn Allah uns das erlaubt, ist das „halal“. Alles was Allah uns erlaubt, erlauben wir dir auch. Wir müssen auf unsere Ernährung achten und nicht alles essen, was unserem Körper schadet.”
“Warum essen die anderen Gelatine? Erlaubt das Allah ihnen?
Es war einer von den schwierigsten Fragen für mich, die ich von ihm hörte. Ich versuchte ihn abzulenken.
“Weil ihre Eltern es ihnen erlauben. Aber wir essen keine Gelatine. Deine Cousins essen auch nicht. Deine Freunde S., Z., G. auch nicht.”
Liebe Betyl Özdemir,
ich betreue ein syrische und eine iranische Familie. Die Kinder wollen unbedingt am Leben der anderen Kinder und in der Schule mit ihren Freundinnen zusammen sein. Da gibt es natürlich auch mal eine Tüte Gummibärchen. Die Kinder sehen das als Verbot und Ausschluss an, denn in ihrer Umgebung gibt es keine anderen muslimischen Kinder. Sie sind traurig und essen es dann, z.B. nach Halloween, heimlich. Ich bin auch so groß geworden, durfte kein Zucker essen und habe meine Süßigkeiten mit schlechtem Gewissen versteckt und heimlich gegessen, bin dann in der Pubertät sehr dick geworden, weil ich alles nachgeholt habe. Ich finde Ihre religiöse Haltung grundsätzlich nachvollziehbar, aber ich verstehe sie heute nicht mehr ganz. Die anderen Kinder sind nicht krank durch Gelatine. Ich denke ein Gott, der nur den einen etwas ge- oder verbietet, ist doch für Kinder kein Gott für alle. Dieser Gott sagt doch zu Autos, Flugzeugen, Ressourcenverbrauch, Krieg, Armut, Klimawandel, Vernichtung von Artenvielfalt auch nicht, dass es haram ist. Wie sollen wir das den Kindern erklären ? Ich bin immer wieder ratlos, wie die Integration gelingen soll, ohne dass die einen sagen, wir sind besser, weil wir all diese Vorschriften einhalten. Kann man das nicht modernisieren ?
Mit freundlichen Grüßen Hilla Metzner